Die Prinzessin vom Marchfeld

Die Erbse mag ein auf den ersten Blick unscheinbares Gemüse sein. Tatsächlich ist sie die knallgrüne Königin des Marchfelds und wird dort jetzt fleißig geerntet. Ein Lokalaugenschein mit ADEG Kaufmann Wolfgang Rein.

Erbsen

Mein Ausflug ins Gemüse beginnt an einem frischen Sommermorgen, an dem ich mich von meinem ADEG Markt in Ringelsdorf-Niederabsdorf im Weinviertel auf nach Groß-Enzersdorf zum Tiefkühlgemüse-Spezialisten Ardo Austria mache. Gut 50 Minuten Autofahrt liegen vor mir. Zeit, um mich zu fragen, was mich auf meiner heutigen Erbsenernte-Expedition wohl erwarten wird – und was ich bislang eigentlich weiß über diesen heimischen Gemüseklassiker. Abgesehen davon, dass Erbsen in meinem TiefkühlgemüseSortiment allgegenwärtig sind, ich sie selbst gerne esse, sie gesund sind und in Österreich angebaut werden – nicht viel. Schon merkwürdig, denke ich, während ich, endlich angekommen, auf meinen heutigen Guide zusteuere: Norbert Friedrich, Geschäftsführer der bäuerlichen Erzeugerorganisation Tiefkühlgemüse – ETG. Da schlichtet man Erbsen und Mischgemüse-Packungen Woche für Woche ganz selbstverständlich ins Tiefkühlregal und weiß so wenig darüber, woher diese Produkte kommen und wie sie hergestellt werden. Eine Wissenslücke, die in den kommenden Stunden unter anderem auf einem Erbsenfeld in Lassee geschlossen werden wird

Ernten im Akkord

Bevor es dorthin geht, versuchen Norbert und ich bei der Begrüßung am Werkseinfahrtstor von Ardo, der als größter Die Erbse gilt als eine der ältesten Kulturpflanzen überhaupt, in Europa wird sie seit dem Altertum angebaut. Die Erbse mag ein auf den ersten Blick unscheinbares Gemüse sein. Tatsächlich ist sie die knallgrüne Königin des Marchfelds und wird dort jetzt fleißig geerntet. Ein Lokalaugenschein mit ADEG Kaufmann Wolfgang Rein. Die Zusammenarbeit mit lokalen Gemüseproduzenten sichert die Wertschöpfung in der Region. Tiefkühlgemüse-Produzent Europas unter anderem für Iglo Marchfelder Erbsen in die Packung bringt, erst einmal den Lärm der ankommenden Lkws zu übertönen. „Wir haben Erbsenstress!“, ruft Norbert, „denn heute wird auf mehreren Feldern geerntet, und vom Feld bis in die Packung dürfen nicht mehr als 90 Minuten vergehen.“ Unablässig rumpeln die Erntemaschinen jetzt über die Felder und die Transport-Lkws auf das Werksgelände. 7 Tage die Woche. Auch nachts.

Erbsen

Prinzessin Erbse

„Die Erbsenernte“, betont Norbert, während wir durch kleine Ortschaften und vorbei an Hunderten Gemüsefeldern nach Lassee weiterfahren, „ist tatsächlich die Königsdisziplin der Gemüseernte.“ Warum? „Weil die Erbse, was ihren optimalen Erntezeitpunkt betrifft, eine echte Diva ist. Ihr Zartheitsgrad verändert sich innerhalb von 24 Stunden deutlich – und je nach Qualitätsstufe und Endprodukt sind bestimmte Zartheitsgrade vorgegeben.“ So kommt es auch, dass zwei Mitarbeiter zur Erntezeit zwischen Anfang Juni und Ende Juli ausschließlich damit beschäftigt sind, von den rund 1.600Hektar Erbsenanbaufläche Proben zu nehmen und für jedes Feld den perfekten Erntezeitpunkt zu bestimmen. „Wie zart ist denn besonders zart?“, möchte ich wissen. „Bei jungen Erbsen liegt der Wert um die 100“, antwortet mein Guide. Die Marchfelder Erbsen seien aber in jeder Reife- und Qualitätsstufe eine Klasse für sich, ergänzt er. Dazu später noch mehr. „Das Gebiet mit seinen mittelschweren bis leichten Böden, dem pannonischen Klima und ausreichend Grundwasservorkommen ist jedenfalls für den naturnahen Gemüseanbau ideal geeignet. Dazu kommt, dass die Verarbeitung mitten im Anbaugebiet erfolgt, die Transportwege also besonders kurz sind. Das macht die Marchfelder Erbse nicht nur zur schnellsten Erbse Europas, sondern auch zur klimafreundlichsten!“, so Norbert


"Mir ist transparenz wichtig, also zu wissen woher meine Ware kommt."

Wolfgang Rein, ADEG Kaufmann


Im Kreislauf des Lebens

Darüber will ich mehr wissen. Allein schon deshalb, weil mich das Thema Nachhaltigkeit im Rahmen der Modernisierung meines eigenen Marktes 2020 besonders intensiv begleitet hat. „Wenn wir nob Nachhaltigkeit sprechen, dann meinen wir nicht nur ökologische, sondern auch soziale Nachhaltigkeit – also regionale Kreisläufe stärken, Arbeitsplätze sichern, die Wertschöpfung in der Region halten“, sagt Norbert. So setzt sich die Erzeugergemeinschaft etwa ausschließlich aus Landwirten aus dem Marchfeld zusammen, die zwischen ein und maximal drei Feldern mit zwei bis fünf Hektar Fläche bewirtschaften. Kleinbetriebe also, mit denen die ETG langfristige Abnahmeverträge zu fairen Konditionen schließt, um deren Fortbestand zu sichern. Ein klares Bekenntnis zum Erhalt der klein strukturierten heimischen Landwirtschaft – und zu den Menschen, die sie betreiben. Einen dieser Menschen lerne ich wenige Minuten später, ausgerüstet mit einer gelben Warnweste und mit ausreichend Sicherheitsabstand zu den über das Erbsenfeld steuernden Erntemaschinen, kennen. Herr Zörnpfenning ist selbst Mitglied der Erzeugergemeinschaft und wie die meisten seiner Kollegen Landwirt und nachbarschaftlicher Erntehelfer in Personalunion. Als Feldmeister ist er heute für acht Mitarbeiter und drei Erntemaschinen verantwortlich, die in etwas mehr als zwei Stunden bis zu fünf Tonnen Erbsen ernten. Leise sind sie nicht gerade, die Monstermaschinen, aber echte Wunderwerke der Technik. Rotierende Walzen rupfen die Erbsenpflanzen aus dem Boden, die Hülsen werden im Inneren der Maschine aufgeknickt, die herauspurzelnden Erbsen grob gereinigt und in einem Container gesammelt, der von einem Lkw schnurstracks nach GroßEnzersdorf verfrachtet wird. Aber sind so schwere Erntemaschinen nicht eine esonders große Belastung für die Böden? „Bei den modernen Maschinen verteilt sich die Last auf mehr Fläche, das tut dem Boden nix“, erklärt Herr Zörnpfenning. Dem Boden nix – oder besser gesagt nur Gutes – zu tun ist der Erzeugergemeinschaft ein großes Anliegen. Denn nur ein gesunder, fruchtbarer Boden bringt über Jahre hinweg Ertrag und garantiert gesundes Gemüse. „Die Einhaltung der Fruchtfolge ist uns extrem wichtig“, betont Norbert. Fünf bis maximal sieben Jahre lang wird am selben Feld dieselbe Kultur angebaut, dann wird gewechselt. Das minimiert den Krankheitsdruck und laugt den Boden nicht aus. Bevor die Erntemaschinen auf dem Feld ihre Arbeit ganz erledigt haben und wir einem der gerade fertig beladenen Lkws wieder ins Werk folgen, nutze ich noch die Chance, eine frische Schote zu knacken und den grünen Rohdiamanten zu kosten: herrlich frisch, angenehm grasig, leicht süß. Ein neuartiges, ziemlich einzigartiges Geschmackserlebnis.

Erbsen 3
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Drück mich - aber richtig!

Zurück in Groß-Enzersdorf zeigt mir Norbert noch, was mit den täglich bis zu 300 Tonnen frisch angelieferten Erbsen passiert, bevor sie in mehreren Durchgängen erst gesäubert und gewaschen werden, dann im Bauch des Werks verschwinden, bei -35 °C schockgefrostet, nach Größen sortiert, verpackt und ins Iglo-Logistik zentrum geliefert werden – von wo aus sie zwei Mal wöchentlich ihren Weg in meinen Markt finden. An diesem Punkt nämlich hat das „Tenderometer“ seinen großen Auftritt. In einem kleinen Häuschen gleich neben der Anlieferung steht die antik anmutende Maschine, und sie misst – Sie ahnen es vielleicht schon – die Zartheit der Erbse. Bedient wird sie von zwei Mitarbeiterinnen, die von jedem angelieferten Container eine Probe nehmen und die Erbsen quetschen. Anders ausgedrückt: Sie messen den Widerstand, der beim Zusammendrücken entsteht. Bei reiferen Erbsen wie diesen, die für Mischgemüse verwendet werden, darf der Wert maximal 140 betragen.

Und? Passt perfekt!“, sagt die Dame zu meiner Rechten, und der gestrenge Blick verwandelt sich in ein schüchternes Lächeln, das ehrliche Zufriedenheit und auch ein wenig Stolz ausdrückt. – Ein wenig stolz bin ich auch, am Ende dieser Reise ins Marchfeld. Darauf nämlich, diesen regionalen Gemüseschatz, den ich ab heute mit ganz anderen Augen betrachten werde, für meine Kunden ins Regal bringen zu können. Jetzt und in Zukunft.

Warum wir Regionalität großschreiben

1. Ob knackfrische Marchfelder Erbsen, Weine oder Frischfleisch:

Die enge Zusammenarbeit mit Lieferanten aus dem Weinviertel stärkt die Region und sorgt dafür, dass der authentische Geschmack unserer Heimat nicht verlorengeht.

2. Lokale Produkte zu beziehen bedeutet, die Menschen hinter den Produkten und ihren Qualitätsanspruch zu kennen.

Diese Transparenz schafft wertvolles Vertrauen zwischen Erzeugern, unseren Kaufleuten und ihren Kunden.

3.Einkaufen, Tratschen, Verabreden

Als lokaler Nahversorger in einer kleinen Gemeinde ist auch der ADEG Markt von Wolfgang Rein nicht einfach nur ein Ort zum Einkaufen, sondern auch zentraler Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft.

4. Lebensmittel sind Mittel zum Leben

Sie von regionalen Produzenten auf kürzestem, klimaschonendem Weg zu beziehen bewahrt wertvollen Lebensraum über Generationen.

Text: Stephie Fuchs-Mayr

Fotos: Lukas Ilgner


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