Frühling heißt Neustart

Unser wichtigster Moment ist jetzt

Die psychologische Beraterin Carina Szauer hat im Zuge ihrer Arbeit täglich miterlebt, wie Corona die Sorgen und Ängste der Menschen zuletzt beeinflusst hat.

Carina Szauer

Fast genau ein jahr ist nun vergangen, seit der erste Lockdown verkündet wurde. Ein Jahr, das sich für viele von uns zum vielleicht herausforderndsten unserer Geschichte entwickelt hat. Und es war auch ein Jahr, in dem Menschen weit über sich hinausgewachsen sind. Das Jahr der Corona-Pandemie hat uns beigebracht, dass wir anpassungsfähiger sind, als wir glauben. Es hat uns gelehrt, dass es möglich ist, das Beste aus Situationen herauszuholen. Und es hat uns auch vermittelt, wie viel Großartiges wir in einem ganz normalen Alltag unbeachtet gelassen haben.

Zeit für Frühlingsewachen?

Doch das Jahr war auch geprägt von gesundheitlichen Sorgen, Beziehungskrisen, der Angst vor dem Jobverlust und dem ständigen Gefühl, eine laut- und symptomlose Gefahr für geliebte, ältere Mitmenschen zu sein. „Ich höre in meiner Praxis oft, dass Menschen sich regelrecht erschrecken, wenn sie im Fernsehen in älteren Filmen große Menschenmengen sehen, die eng tanzen oder beieinanderstehen“, so Carina Szauer. Die psychologische Beraterin aus Pinkafeld im Burgenland hat in ihrer Praxis täglich miterlebt, wie die Pandemie unser Denken und Fühlen verändert hat. Wie tiefgreifend die gesamtgesellschaftlichen Änderungen wirklich sind, wird sich erst in einiger Zeit zeigen. Fest steht, dass alleine im vergangenen Herbst der Umsatz bei pflanzlichen Beruhigungsmitteln höher war als je zuvor. Und fest steht auch, dass das Frühjahr, in dem die Natur wieder neu erwacht, für viele Menschen normalerweise auch emotional im Zeichen des Neubeginns steht. Doch wie ist das nach einem Jahr Pandemie?

 

Sich nicht alleine fühlen hilft

„Wenn die Anspannung dauerhaft anhält, aber auch wenn sie erst einmal abfällt, kann es sein, dass die bisher ausgestandenen Sorgen, Ängste und Erschöpfungen zum ersten Mal überhaupt Raum bekommen und damit deutlich spürbar werden. Und wenn dann die ganze Welt von ,Neuanfang‘ und ,frischem Wind‘ und ,neuem Mut‘ spricht, kann das umso problematischer sein, weil man dann denken könnte, man sei der oder die Einzige mit Schwierigkeiten, den Neustart zu wagen“, so Szauer über den möglichen Erwartungsdruck, den der heurige Frühling mit sich bringt. Zu glauben, man sei der oder die Einzige mit einem gewissen Problem, könne laut der Expertin Scham erzeugen, und diese wiederum würde häufig verhindern, dass sich Menschen professionelle Hilfe suchen. Ein wichtiges Gegenmittel gegen diese Form von Scham ist, herauszufinden, dass man mit einem gewissen Problem nicht alleine ist. Bestes Beispiel hierfür ist Schauspieler, Musiker, Kabarettist – und neuerdings auch Buchautor – Manuel Rubey.

Verbundenheit schafft Sicherheit

Er hat die durch Corona plötzlich vorhandene, unerwartete Zeit dafür genutzt, sich auf eine ganz neue Weise mit sich selbst auseinanderzusetzen und darüber ein Buch zu schreiben – inklusive der Darstellung vieler seiner Schrulligkeiten und Unsicherheiten. „Ich habe auf dieses Buch sehr viel mehr Reaktionen erhalten als erwartet. Menschen haben mich auf Details angesprochen, nachgefragt, und zwar in einer eleganten Weise, die nicht zu intim war, sondern mich viel eher in einen neuen Denkprozess gebracht hat. Das ist eine unglaublich schöne Reise, seit das Buch draußen ist“, sagt Rubey, der sich im Interview sowohl überrascht als auch ehrlich erfreut darüber zeigt, dass die Aufzählung so mancher seiner Macken anderen Menschen auf gewisse Weise zu helfen scheint. 

Für Carina Szauer ist das hingegen weniger überraschend:

„Wir Menschen wollen uns zugehörig fühlen, denn Verbundenheit schafft Sicherheit. Zu bemerken: Hey, ich bin nicht alleine mit meinen vermeintlich verrückten Gedanken oder meinen teilweise als belastend erlebten Anteilen, schafft diese innere Verbindung. Und diese wird auch für den kollektiven emotionalen Neustart nach Corona wichtig sein“, so die Beraterin. „Probleme dabei, sich wieder rauszuwagen, ängstliche Distanz bei Umarmungen, festsitzende Sorgen vor Krankheit oder Jobverlust – das alles sind nach diesem Jahr Themen, mit denen Menschen sich keineswegs alleine rumschlagen müssen. Das könnte also durchaus eine Chance sein, Zusammenhalt gemeinschaftlich neu zu üben. Damit schließlich jeder für sich selbst, aber auch wir alle gemeinsam wieder einen positiven Zugang zum sozialen Miteinander und zu einem zufriedenen Leben entwickeln können.“

5 Tipps: So gelingt der emotionale Neustart

1. Belastung bewusst machen:

Um Belastungen hinter sich zu lassen, ist es wichtig, sie sich bewusst zu machen. Was hat Ihnen im vergangenen Jahr besonders zugesetzt? Welche Sorgen und Ängste waren für Sie zentral? Welche Herausforderungen hatten Sie zu meistern? Welche Beziehungshürden haben vielleicht Kraft gekostet? Was ist es also, das Sie nun bewusst hinter sich lassen können.

2. Ressourcen nutzen:

Sie haben sich im ersten Schritt bereits intensiv damit auseinandergesetzt, welchen Herausforderungen Sie begegnet sind. Überlegen Sie nun, welche Ihrer ganz individuellen Stärken – wie etwa Humor, Gelassenheit, Weitsicht etc. – Ihnen besonders durch diese Zeit geholfen haben. Schreiben Sie sich diese Stärken auf. Wie geht es Ihnen, wenn Sie nun Ihre eigenen Ressourcen so gebündelt vor sich sehen? Welche dieser Stärken möchten Sie in Zukunft intensiver nutzen oder weiterentwickeln?

3. Aktiv werden und Dingen einen Sinn geben:

Der künftige Umgang mit sozialen Kontakten ist hier laut Carina Szauer ein feines Beispiel, dass es sowohl eigenverantwortliche Aktivität für einen emotionalen Neustart braucht als auch die Fähigkeit, den Erfahrungen aus dem Vorjahr einen positiven Sinn für sich selbst mitzugeben: „Wer beispielsweise festgestellt hat, dass der Wegfall sozialer Verpflichtungen teilweise ganz erleichternd und entspannend war, sollte in diesem Beispiel also auf zweierlei achten: Einerseits geht es darum, irgendwann wieder aktiv und mutig soziale Interaktionen in einem gesunden Maße zuzulassen, um destruktive Isolationsmuster nicht zu unterstützen. Andererseits könnte der Sinn bzw. eine wichtige Lernerfahrung jetzt auch darin liegen, erkannt zu haben, dass man möglicherweise bedeutend mehr Zeit für sich selbst braucht, als vor Corona wahrgenommen.“

4. Positives Gedankenmuster gestalten:

Wie möchten Sie sich fühlen? Grüblerisch, sorgenvoll und ängstlich? Oder doch gelassen, leicht und zuversichtlich? Überprüfen Sie häufiger: Trägt Ihr aktueller Gedanke oder Ihre derzeitige Handlung dazu bei, dass Sie sich so fühlen, wie Sie es möchten? Wehren Sie sich dabei nicht krampfhaft gegen unerwünscht auftauchende negative Gedankenmuster, sondern nehmen Sie sie schlicht zur Kenntnis und erlauben Sie den Gedanken dann, wieder weiterzuziehen.

5. Sich unterstützen lassen:

Wenn Sie bemerken, dass es Ihnen schwerfällt, aus einem Muster der Sorgen und negativen Gedankenspiralen auszusteigen, nutzen Sie eines der zahlreichen professionellen Therapie- oder Beratungsangebote. Oft kann schon eine dadurch nur geringfügig veränderte Sichtweise auf belastende Themen ungemein hilfreich sein, um das eigene Erleben wieder positiver zu gestalten.

7 Fragen an Manuel Rubey

„Einmal noch schlafen, dann ist morgen“ ist der Erstling des Publikumslieblings. Das erfrischend ehrliche Buch will kein Selbsthilferatgeber sein und ist vielleicht gerade deshalb eines der besten seiner Sorte.

 

1. Sie schreiben herrlich erfrischend und ehrlich über Ihre Sicht auf die Welt, auf Ihr Innenleben und über so manche Ihrer Macken. Warum?

Manuel Rubey: Die Intention war, weiterzutragen, dass es mir tendenziell von Jahr zu Jahr besser geht mit und in meinem Leben. So hab ich mir gedacht, ich schreibe einfach über Dinge, die mich wirklich beschäftigen, meine Schrulligkeiten und Ängste zum Beispiel, und wie es dazu kam, dass ich mit 40 glücklicher bin als mit 20. Und wenn jemand damit auch für sein eigenes Leben etwas anfangen kann, bin ich schon sehr zufrieden. Und dass das Buch nach den Reaktionen der letzten Monate so vielen Menschen Freude macht, ihnen Bestätigung gibt oder sie dadurch woanders hindenken, ist ein unbeabsichtigter, aber schöner Effekt.

2. Sie schreiben auch darüber, was Ihnen persönlich guttut, um mit sich selbst zufrieden zu sein. Heute ist ja viel von „mehr Achtsamkeit“ und „mehr Meditation“ die Rede in diesem Zusammenhang. Erzeugt dieses „mehr“ nicht neuerlich Druck?

Wenn für mich so etwas wie eine Erkenntnis beim Buchschreiben rausgekommen ist, ist es die, dass ich innerhalb der Mischung aus Lebenshunger und Verzweiflungstendenzen wahnsinnig unflexibel bin. Da können mich bestimmte Dynamiken in Beziehungen genauso wahnsinnig machen wie herumliegendes Kinderspielzeug. Aufräumen ist dann für mich zum Beispiel essenziell, um zufrieden zu sein. Und das braucht Zeit und Platz. Dabei merke ich immer, dass eben nicht für alles im Leben genug Platz ist. Also Platz für Dinge wie „mehr Kerzenschein“, „mehr Meditieren“ und so weiter. Ich hab für mich erkannt, ich brauch das alles nicht. Ich brauch kein Fitness-Studio mehr, ich brauch auch kein Meditieren. Ich hasse Meditieren. Ich kann nicht Qigong. Ich kann nicht Yoga. Es ist mir nicht wichtig. Was mir wichtig ist, ist, dass die Küche sauber ist.

3. Was hat eine saubere Küche mit positivem Lebensgefühl zu tun?

Es ist ein herrliches Beispiel dafür, dass diese ganz praktischen Dinge, die halt gemacht werden müssen, auch dabei helfen können, dass es einem besser geht. Wenn ich die Küche aufräume, ist es nachher schöner als vorher. Bei einer Meditation gibt es – finde ich zumindest – für mich dafür nur eine 50:50- Chance. Ich kombiniere jetzt zum Beispiel Wäscheaufhängen und Putzen ganz bewusst, etwa mit einer Platte oder einem Podcast, den ich mir ansonsten gerne bei Kerzenschein und einem Glas Wein anhören würde. Stattdessen aber mach ich das eben im Zuge der sowieso notwendigen Haushaltsgeschichten, aber ganz langsam! Und dabei höre ich stundenlang diese Platte. Das funktioniert immer besser, auch mit der Bestätigung der Leute, das geb ich schon zu. Weil wenn dir Menschen vermitteln „Ah, das und das hab ich auch“, dann freut man sich irgendwie.

4. Anstatt sich zu stressen, dass man es heute schon wieder nicht geschafft hat, zu meditieren, und dann völlig verzweifelt mit einem Versagensgefühl ins Bett zu gehen, kann man sich also einfach sagen: „Genial! Tolle, achtsame Küchenputzaktion war das!“?

Genau. Darum versuche ich auch, den Tag mit noch mehr Lücken zu füllen und die Dinge noch langsamer und bewusster zu machen. Auch, um nicht aus dem Tritt zu geraten. Aber solche Lücken muss man auch zulassen können. Da kommt jetzt ein Mini-Eingeständnis an die Spiritualität, mit der ich im Buch eigentlich abrechne. Ich habe etwas oft genug auf meine innere Liste geschrieben – so oft, dass ich mir das jetzt langsam auch glaube: „Es wird genug da sein.“

5. Gibt es etwas, das Sie Menschen mitgeben möchten, die gerade mit sich selbst hadern oder die sich schwertun mit den vermeintlich alles lösenden, angeleiteten Entspannungsübungen und Achtsamkeitsritualen?

Mir hilft, mir bewusst zu machen, dass ich „gar nichts muss“. Der zweite wichtige Teil ist, Heiterkeit und Selbstironie zu kultivieren. Das klingt ein bisserl hart, aber nimm dich selbst nicht ernst, die andern tun es nämlich auch nicht. Weil es ist wurscht. Wir sind dem Universum nicht wichtig. Niemand wacht darüber, wie gut du dich entspannst. Du wirst nicht belohnt, wenn du dich richtig entspannst. Insofern kann man sich die Erbärmlichkeit, die uns alle so liebenswert macht, auch gleich eingestehen. Jeder muss mit sich selbst klarkommen und für sich herausfinden, was guttut und was überhaupt nicht guttut. Vielleicht ist das Wichtigste dabei die wechselseitige Bestätigung, dass es eh o.k. ist, wie wir alle sind. Ich habe wirklich lange gebraucht, um mit mir selbst klarzukommen. Da will ich den Leuten sagen: Das könnt ihr abkürzen, ihr könnt euch gleich akzeptieren, wie ihr seid. Mit allen Eigenheiten und Schrulligkeiten.

6. 2020 war für viele eine enorme Herausforderung. Gibt es trotzdem etwas, das wir aus einem Jahr Pandemie mitnehmen können?

Vielleicht, dass man sich nicht so grundlos abschmusen muss, obwohl man sich gar nicht kennt, wie das vor Corona in manchen Bussi-BussiBereichen ganz üblich war. Aber umgekehrt hoffe ich auch, dass wir die Dinge, die wieder möglich sind und sein werden, wieder mehr schätzen. Wie eben zum Beispiel Menschen, die uns wirklich etwas bedeuten, innig herzen zu können, wenn es uns ein Bedürfnis ist. Und dabei jede Sekunde eine bewusste Dankbarkeit verspüren, dass man das wieder darf. Dann ist das nicht mehr so inflationär, sondern wäre tatsächlich mit so etwas wie einem Erkenntnisgewinn aus diesem Jahr einhergegangen.

7. Wie schaffen wir es, dass dieser Frühling ein positiver Neustart sein kann? Was wäre denn ein kluges Mindset für das Frühjahr 2021?

Das ist so alt, wie es wichtig ist: Dass man die Dinge, die einem wichtig sind, gleich erledigt. Oder zumindest damit beginnt. Unsere Lebensentwürfe können uns allen jederzeit um die Ohren fliegen. Vielleicht begreifen wir nach diesem Jahr, dass man wirklich nur den Augenblick hat. Ich sage das immer auch am lautesten zu mir selbst, weil der Moment an sich ist eigentlich meistens ziemlich super. Also außer man hat jetzt gerade einen offenen Bruch, dann halt nicht. Aber meistens hat man halt keinen offenen Bruch. Aber wenn es uns gelingt, dass wir weniger Dinge rein spekulativ machen, um irgendwann mal irgendwas zu erreichen oder in drei Jahren glücklich zu sein, dann sind wir vielleicht alle einfach ein bisschen mutiger. Lasst uns rausgehen und das Haus verlassen. Zieh dein schönstes Kleid oder dein feinstes Hemd an. Warte nicht auf die perfekte Gelegenheit, sondern setze den Schritt über die Türschwelle. Und gehe, gehe, gehe. Da draußen warten Wunder!

Rubey

Buchtipp: 

Einmal noch schlafen, dann ist morgen

von Manuel Rubey, Molden Verlag, 2020.


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