Kasperl und Pezi

Fotograf: Lukas Ilgner

Krawuzi Kapuzi, heute ist es wieder voll hier“ – ab Oktober letzten Jahres hörte man diesen Satz regelmäßig im Mittleren Saal der altehrwürdigen Urania am Wiener Donaukanal. „Es war einmal ein Dagobert“ war das neue Theaterstück betitelt, mit dem Kasperl und Pezi nach der Sommerpause die neue Spielsaison eröffneten. Eine ganz besondere Saison, denn die Urania-Puppenbühne feierte 2015 ihr 65. Bestandsjahr.

Das Kasperl und sein Alter Ego

Manfred Müller bei der Arbeit in seiner Werkstatt

„Was passiert, wenn Onkel Rappelkopf eine Zeitreisemaschine erfunden hat und Pezi, zufällig natürlich, auf einen Knopf drückt?“ — das und noch einiges mehr steht in der Programmvorschau, verfasst von Manfred Müller. Alles will er über die neue Inszenierung nicht verraten, obwohl er es könnte. Herr Müller ist nämlich der Direktor des Theaters. Ganz nebenbei ist er auch der Autor der Stücke, Bühnenbildner und Komponist der musikalischen Einlagen, er gestaltet und restauriert die Handpuppen und schlüpft in beinahe jede Rolle der Bewohner der Märchenstadt – er spielt den Drachen Dagobert, den Servatius, den Dr. Rappelkopf, sämtliche Zauberer, Könige, Hexen, Zwerge, skurrile Figuren – und er spielt vor allem den Kasperl.

Und genau an diesem Punkt beginnt Herr Müller zu widersprechen: „Man kann den Kasperl nicht spielen, man muss es sein! Wenn ich in die Handpuppe des Kasperls hineinschlüpfe, bin ich auch im Charakter der Puppe voll und ganz drinnen. Es fühlt sich an wie eine Einheit – Kasperl wird zu meinem Spiegelbild.“ Rund 10.000 Mal ist Manfred Müller so seit 1995 für jeweils eine gute Stunde zu seinem Alter Ego mutiert und hat die Kinderwelt und die reale Welt zu einer Abenteuerreise mit den beiden Protagonisten Kasperl und Pezi werden lassen.

4,2 Millionen haben Kasperl live gesehen

Eine Reise, die seit der Gründung der Institution „Kasperl und Pezi“ durch Prof. Hans Kraus und seine Ehefrau Marianne im Jahr 1950 ca. 4,2 Millionen kleine und große Besucher live in ihren Bann gezogen hat und mit der bis heute Abermillionen ihre Kindertage zu Hause vor dem Bildschirm verbracht haben. Seit dem Tod von „Urkasperl“ Kraus 1995 begeistert nun Herr Müller die rund 35.000 Kasperl-Fans pro Spielsaison und lockt sie ab Oktober mit sieben verschiedenen Inszenierungen aus der realen Welt ins Märchenland auf der fünf Meter breiten Bühne.

Pro Vorstellung lassen sich insgesamt 267 Kinder zwischen 2 ½ und 8 Jahren durch die Magie von Müllers Puppentheaterkunst live verzaubern – Jahr für Jahr, und nicht nur österreichische Kinder: „Wir haben Besucher aus Deutschland, ja sogar aus Brüssel und London, die uns seit Jahren die Treue halten.“

Hinter den kunstvollen und aufwendigen Kulissen halten insgesamt 15 Mitarbeiter den Spielbetrieb von Oktober bis April aufrecht. Sechs davon – zumeist hauptberufliche Schauspieler – verleihen den Puppen Stimme, Bewegung und Charakter. „Rund 60 % des Charakters einer Figur müssen durch das Ballett der Puppe, also den Bewegungsablauf, transportiert werden, aber 40 % des Erfolges bestimmen die Sprache, die Stimmfarbe und die Melodie der Figur“, erzählt der Direktor über insgesamt 463 Puppen, die er eigenhändig und liebevoll in seiner Werkstatt im niederösterreichischen Trautmannsdorf restauriert, einkleidet oder auch neu entwirft. Als „meine unentgeltlichen, aber wichtigsten Mitarbeiter“ bezeichnet er die Protagonisten seines Theater-Imperiums.

„Man kann den Kasperl nicht einfach so spielen,man muss es sein!“

Manfred Müller

 

Vom Hightech-Kinderzimmer ins Märchen-Biotop

Herr Müller hat sich als Privatperson immer schon diskret im Hintergrund gehalten und ist nur als Kasperl ein Star: „Das Interesse soll und muss sich auf die Puppe konzentrieren und nicht auf mich. Ähnlich wie bei den Star-Wars-Schauspielern hinter der Maske“, ist er ganz glücklich über diese Rollenverteilung. Der Jubilar, der zufällig 2015 auch seinen 65. Geburtstag feierte, ist ausgebildeter Lithograph und verdiente sein Geld als Buchhändler und Foto-Assistent, bevor er seine eigentliche Berufung zum Kasperl fand, wo er seine schauspielerische Ader voll ausleben kann. Wer ist dieser Kasperl, der seit Jahrzehnten die Kinder- und auch Erwachsenenaugen funkeln lässt?

„Er ist ein durchschnittlicher Typ. Kein Einstein, nicht übermäßig mutig, er macht sich Gedanken über die Umwelt und die Gesellschaft, und er hält es mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau.“ Manfred Müller will den Kindern nicht „mit dem erhobenen Zeigefinger“ begegnen, sondern „pädagogisch wertvoll, aber unterhaltsam“.

Und er braucht den Pezi dazu: „Der Kasperl solo wäre eine fade Nocken. Der Pezi allein wäre ein süßes Bärli zum Kuscheln. Nur im Duo können die beiden erfolgreich sein.“

Müllers Pinselbecher
Müller näht auch die Puppenkostüme selbst
Manfred Müller mit seinem Bruder Werner

Dass die Institution „Kasperl und Pezi“ auch noch kommende Generationen bestens unterhalten wird und keinesfalls unzeitgemäß oder gar verstaubt ist, darüber besteht für Manfred Müller kein Zweifel: „Die Kinder haben heute zu Hause alle Hightech-Möglichkeiten, Computer, Smartphones und Spielkonsolen, aber bei uns tauchen sie für eine Stunde in dieses echte, natürliche, unterhaltsame Biotop ein und leben gebannt in der Märchenwelt mit uns.“

Zum Jubiläum gab es „Kasperl und Pezi“ als Spielfilm

Müller mit Kasperl und Pezi Puppen

Zwar hat der ORF schon längst die Produktion von aktuellen Stücken der Urania-Puppenbühne eingestellt und bringt jeden Sonntagmorgen nur noch Wiederholungen von alten Aufzeichnungen, aber dennoch wartete Direktor Müller im Jubiläumsjahr mit einer Hightech-Überraschung auf: neben dem ersten „Kasperl und Pezi“-Buch, „Meine liebsten Vorlesegeschichten“, gibt es die beiden Hauptdarsteller erstmals auf DVD und in voller Spielfilmlänge: Unter dem Titel „Kasperl und Pezi: Das geheime Tagebuch I & II“ werden die Handpuppen Abenteuer meistern, die man bislang noch nicht live auf der Urania-Bühne miterleben konnte.

Die Magie von Kasperl und seinem kleinen Bärenfreund ist – laut Alter Ego Müller — eben nicht umzubringen: „Ich werde ebenso wie mein Lehrmeister Hans Kraus irgendwann einmal gehen müssen, aber der Kasperl, der wird weiterleben, der ist unsterblich!“

In diesem Sinne bleibt uns nur mehr zu sagen: Krawuzi Kapuzi!